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payoff Interviews

«Ja, wir erwarten eine erste Zinserhöhung»

02.12.2021 5 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Herr Jung, wie beurteilen Sie die jüngsten Ankündigungen der FED und der EZB?
Von seitens der Fed geht der Wind ganz klar in Richtung weniger Lockerung. Allerdings sehen wir eine Zinserhöhung im ersten Halbjahr 2022 als unwahrscheinlich. In Europa ist die Situation eine völlig andere – hier deuten die geldpolitischen Signale («forward gui- dance») darauf hin, dass eine Zinserhöhung nächstes Jahr sehr unwahrscheinlich ist.

«Tapering is not Tightening». Rechnet Mirabaud im kommenden Jahr mit einer Anhebung der Leitzinssätze in den USA oder in Europa?
Was die Situation in den USA betrifft: Ja, wir erwarten eine erste Zinserhöhung – allerdings erst im 4. Quartal 2022. Bei den kommenden Wirtschaftszahlen schauen wir insbesondere zwei Arbeitsmarktzahlen genau an. Erstens, wie weit sich die Wirtschaft der «maximalen Beschäftigung» nähert. Hier wird insbesondere die Arbeitslosenquote im Segment U3 von Bedeutung sein – und in welchem Masse sich diese den 3.8% der «maximalen Beschäftigung» annähert. Der zweite wichtige Indikator in der Arbeitsmarktstatistik bezieht sich auf die Partizipationsrate der 25- bis 54-jährigen. Diese ist aktuell weiterhin unter dem Vorkrisenniveau von 2019.

Was die Zinsen in Europa betrifft, gehen wir vom Status quo aus – eine Zinserhöhung für 2022 erwarten wir in unserem Basisszenario nicht.

«Obwohl dies nicht unser Basisszenario ist, sehen wir es jedoch als eines der Hauptrisiken für das Jahr 2022.»

Die gestiegene Inflation wird von den Notenbanken bislang als transitorisch angesehen. Teilen Sie diese Ansicht?
In Europa: ein klares Ja – wir gehen von einer vorübergehend hohen Inflation aus, wobei die strukturellen Probleme grösstenteils bestehen bleiben und wir im nächsten Jahr tiefere Teuerungsraten in Europa erwarten.

Anders ist die Situation in den USA, wo erstens die Inflationsraten deutlich höher sind und zweitens das Risiko besteht, dass die Wirtschaftsentwicklung zu einer Überhitzung führt und damit zu weiter steigendem Inflationsdruck. Obwohl dies nicht unser Basisszenario ist, sehen wir es jedoch als eines der Hauptrisiken für das Jahr 2022.

In den USA sind die Realzinsen mittlerweile tief negativ. Wie kann man als Anleger auf diese Situation am besten reagieren?
Indem man ein typisches Portfolio weiter diversifiziert – und gerade auch in gewisse Themenbereiche investiert. Ausserdem glauben wir weiterhin an eine Aufwertung des US-Dollars, der von der starken Wirtschaftsdynamik, sowie auch einer weniger lockeren Geldpolitik seitens der Zentralbank, profitieren wird.

«Sowohl in Europa wie auch in den USA sind Unternehmensanleihen vorzuziehen.»

Welche Rolle spielt China derzeit auf den Anleihemärkten?
Für uns spielt China eine eher untergeordnete Rolle in den Anleihemärkten.

Sollte man Staatsanleihen oder Unter- nehmensanleihen vorziehen?
Sowohl in Europa wie auch in den USA sind Unternehmensanleihen vorzuziehen. Wir bevorzugen in diesem Segment gerade auch hochrentierende Anleihen, die einen interessanteren Übertrag garantieren.

Was sind derzeit die attraktivsten Regionen und Segmente für Anleihe­ investoren?
Im Themenbereich sind dies klar die «Greenbonds», eine Thematik die sehr wichtig ist, gerade auch weil es in den Fokus der Wirtschaftspolitik fällt. Was die geografische Auswertung betrifft, bevorzugen wir zurzeit Schwellenländeranleihen – allerdings in «harter» Währung.

Bieten inflationsgebundene Anleihen weiterhin Aufwärtspotenzial?
Nein, wir denken, dass sich die aktuellen Inflationserwartungen – in den USA zumindest – voll in den aktuellen Preisen widerspiegeln. Dies zeigt sich auch in den 5y5y TIPS Breakevens, die aktuell eine Rendite von rund 2% ausweisen.

Welches Produkt der Anlageklasse Anleihen aus dem Hause Mirabaud bietet aus Ihrer Sicht in den kommenden zwölf Monaten die besten Chancen?
Wir sehen Wandelanleihen (Convertible Bonds) als eine sehr interessante Anlageklasse. Gerade in diesem Nischenbereich, wo es keine offiziellen Kreditratings gibt, eröffnen sich für den aktiven Investor attraktive Chancen. Wir konzentrieren uns auf ein kleines Segment des Wandelanleiheuniversums und wählen dort die besten asymmetrischen Profile, wobei wir eine hohe Gewichtung auf Off-Benchmark-Positionen legen. Auf der Basis der internen Analyse von Mirabaud Asset Management wenden wir unsere eigene Rating-Methodik an, wenn wir in Unternehmen investieren, die kein offizielles Kreditrating besitzen.

«Wir konzentrieren uns auf ein kleines Segment des Wandelanleiheuniversums und wählen dort die besten asymmetrischen Profile.»

Hat sich Ihr Blick auf die Aktien­märkte seit dem Sommer gewandelt? Wie sehen Sie die Entwicklung für 2022 und wie sollten sich Anleger Ihrer Meinung nach positionieren?
Wir sind etwas vorsichtiger in Bezug auf Schwellenländeraktien geworden, wo wir aktuell eine Untergewichtung in unserer global Asset Allokation haben.

Mit welcher Entwicklung rechnen Sie bei den für unser Land wichtigen Wechselkursen EUR/CHF und USD/ CHF?
Aktuell glauben wir an eine Seitwärtsbewegung des Euro im Vergleich zum Franken – allerdings ist das Risiko einer weiteren Aufwertung des Franken hoch, gerade in Momenten wo die globale Unsicherheit steigt. Was den US dollar angeht, sind wir davon überzeugt, dass das Greenback weiter an Fahrt gewinnen wird.

Welche Risiken könnten das von Ihnen geschilderte Szenarium über den Haufen werfen?
Ein Hauptrisiko liegt bei den sanitären Fragen – wo gerade aktuell die Unsicherheit hoch ist. Das zweite Hauptrisiko ist eine stark weniger akkomodativen Geldpolitik von seitens der US Zentralbank.

Vielen Dank fürs Interview!

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Gero Jung, Chefökonom Mirabaud Asset Management und Mitglied des Anlageausschusses von Mirabaud, ist für makroökonomische Analysen und Studien zuständig. Er verfügt über 30 Jahre Erfahrung im Asset Management Bereich. Bevor er 2012 zu Mirabaud kam, war Jung Global Macro Economist bei Zurich Financial Services, Senior Economist bei der Schweizerischen Nationalbank und Berater des Exekutivdirektors des Internationalen Währungsfonds. Zuvor arbeitete Jung für UBS, die Weltbank, ABN Amro und die Deutsche Bank. Gero Jung hat einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften von der London School of Economics, einen Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften von der Bocconi Universität in Mailand und einen Doktortitel in Internationaler Wirtschaft vom Graduate Institute of International and Development Studies in Genf. Ausserdem forschte er am Massachusetts Insti- tute of Technology (MIT) in Boston auf dem Gebiet der internationalen Makroökonomie und Finanzen.

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